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Fantasy-Bücher die Begeistern

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Chroniken der Drachenreiterin
Reihe

Cover Die Ankunft des Drachen Neu.jpg
Das Alberdon Komplott
Die Bastion des Wahnsinns Cover.jpg
Das Tor ins Nichts Cover.jpg

Zwei Leben. Zwei Schicksale. Ein Ziel.


Jiana ist Mitglied einer Gemeinschaft von Drachenreitern. Sie haben sich auf die Aufzucht und das Training von sogenannten Lindwürmern spezialisiert. Als lebende Kriegsmaschinen dienen sie den anliegenden Herrschern im Krieg und zur Verteidigung. Als Jiana alt genug ist, will sie sich den Traditionen gemäß auf die Suche nach einem Drachenei begeben.

Ihre Reise endet, eh sie begonnen hat. Sie wird verraten und verschleppt. Als sie sich befreien kann, hat sie einen weiten und gefährlichen Weg vor sich. Dabei trifft sie auf einen ungewöhnlichen Gefährten, dessen Schicksal enger mit dem ihren verbunden ist, als sie beide ahnen.

 

Kann sie ihre Gemeinschaft vor dem Untergang retten und die Verräter zur Rechenschaft ziehen?

Leseprobe (Band 1)

Als die Sonne über den Bergen aufging und die Spitzen der schneebedeckten Gipfel in gleißend helles Weiß tauchte, war Jiana schon aufgestanden. Sie hatte ihr Tipi lange vor den anderen verlassen und ging den schmalen Pfad zum Bach, an dem ihre kleine Sied-lung stand. Der Weg war ausgetreten von den vielen Frauen und Männern, die Wasser holten oder dort die Wäsche wuschen. Baren Fußes schritt sie über die knorrigen Wurzeln der Bäume und entging geschickt und scheinbar mühelos den dornigen Rankgeflechten auf dem Boden. Über ihre Schulter hatte sie eine le-derne Tasche, in der ihre Ausrüstung verstaut war. Am Wasser angekommen, legte sie ihre Tasche auf einen Stein und schaute sich sorgsam um. Die ersten Sonnenstrahlen brachen über die Bergkämme in das kleine Tal ein und tauchten die Bäume und Gräser in verrückte Muster von Schatten und Glanz. Man konn-te noch nicht alle Details der Umgebung erkennen und als Jiana sichergestellt hatte, dass niemand sonst ans Wasser gekommen war, legte sie ihre Kleidung ab. Das weiße Leinenhemd und ihre dünne hellbraune Leinenhose waren grob verarbeitet. Kleidung von bescheidener Qualität, die ihr lediglich zum Schlafen diente. Auch wenn es zu dieser Jahreszeit auch in der Nacht noch recht warm war, empfand sie es als unan-genehm, nur mit einem Lendenwickel zu schlafen. Andere Frauen und Männer waren hierbei freizügiger. Sie hatte jedoch ihre eigene Geschichte mit den Mit-gliedern ihrer Gemeinschaft, aufgrund derer sie sich offensichtlich verschloss. Sie war jetzt 20 Jahre alt. Und so wie es die Tradi-tion verlangte, zogen die Kinder im Alter von 18 Jah-ren aus dem sicheren Umfeld der Familie aus. Die erste Aufgabe in ihrem Leben bestand darin, ihr eige-nes Zelt zu bauen und es zu beziehen. Auch wenn es für sie eine Erleichterung war, endlich ihr eigenes Reich zu haben, fühlte sie sich des Nachts allein. Nicht, dass sie das enge Zusammenleben mit ihren Eltern oder vielmehr ihren zwei Brüdern vermissen würde. Als einziges Mädchen war das Leben in so einem engen Umfeld ohne einen eigenen Rückzugsort schwierig. Besonders dann, wenn man das älteste von drei Kindern war und zwangsläufig irgendwann auch körperlich erwachsen wurde. Jiana tastete sich vorsichtig über die glitschigen Steine ins Bachbett vor. Ihr Atem begann sich in kur-ze Stöße zu verwandeln, bevor sie mit etwas Schwung in die Knie ging und bis zur Brust ins eiskalte Wasser abtauchte. Für einen kurzen Moment hatte sie das Gefühl, ihr Herz würde aufhören zu schlagen. Dann breitete sich auf einmal ein wärmendes Gefühl in ihrem Körper aus, welches immer weiter zu einem nicht mehr so angenehmen Brennen heranwuchs. Sie schauderte und ihr Körper schüttelte sich heftig. Schnell wusch sie sich. Ein Knacken hinter ihr ließ sie aufhorchen. Sie drehte sich um und starrte mit zusammengeknif-fenen Augen in das Zwielicht des Dickichts. Erkennen konnte sie nichts. »Wer ist da?«, rief sie. Eine Gestalt trat aus dem Gebüsch. Jiana erkannte nur einen schwarzen Schatten, der sich in Richtung des Platzes bewegte, an dem sie ihre Sachen abgelegt hatte. »Wie ich sehe, ist unsere hübsche Rebellin schon wach. Du gehörst doch sonst nicht zu den Frühaufste-hern«, erwiderte die Person. Jiana unterdrückte den Impuls, ihre Scham mit den Händen zu bedecken. Sie wusste genau, wer dort am Ufer stand, und sie wollte ihm den Triumph nicht gönnen, sie in Verlegenheit gebracht zu haben. Nein, das konnte er schon lange nicht mehr. Stattdessen schritt sie selbstbewusst in Richtung Ufer und blieb ein stückweit von der Person entfernt stehen. Ihre Haltung aufrecht, den Kopf ein wenig nach oben ge-richtet, schien den Voyeur zu beeindrucken, denn er senkte seinen Blick und wandte sich zumindest halb von ihrem Anblick ab. »Hast du genug gesehen, Kabil? Glaubst du wirk-lich, dass du mich mit deinem Verhalten noch ein-schüchtern könntest?«, funkelte sie ihn an. Kabil war ein hochgewachsener Mann ihres Alters. Ihr Verhältnis zu ihm, nein, vielmehr zu fast allen in ihrer Kohorte, war mehr als nur angespannt. Sie konn-te Kabil jedoch nicht so recht einschätzen. Jiana wi-dersprach seiner Vorstellung von einer Frau. Für ihn war sie der Inbegriff der Respektlosigkeit gegenüber den etablierten Regeln im Dorf, so schätzte sie. Ihre Art, sich zu kleiden. Ihre kurzen dunklen Haare. Und das Training mit den Jungen und Männern im Dorf. Ein Privileg, das sie seiner Meinung nach nur auf-grund der Stellung ihrer Mutter hatte. Vielleicht war sie gerade deshalb für ihn so interessant. »Ich will dich nicht einschüchtern, Jiana. Selbst ein wilder Lindwurm könnte das nicht.« »Soll ich das als Kompliment verstehen?«, erwi-derte sie und versuchte einen verwunderten Gesichts-ausdruck aufzusetzen. Kabil begann seine Kleidung abzulegen und Jiana schaute demonstrativ über ihn hinweg in den orange werdenden Himmel der Morgensonne. Kabil verzog das Gesicht zu einem schmalzigen Grinsen. »Kein Kompliment, Jiana. Es ist eine Feststellung. Eine Tatsache. Eine, die, wie wir alle wissen, zu unser aller Verderben führen kann.« Sein letzter Satz klang ein wenig zynisch, so empfand es Jiana. Kabil hatte seine Kleidung abgelegt und bewegte sich auf Jiana zu. Ihre Blicke trafen sich. Er hatte bis auf einen Kamm in der Mitte seines Kopfes alle Haare kurz rasiert. Seine Augen waren dunkel und funkelten sie an. Unter seiner Hakennase, Jiana hatte schon als Kind Fantasien, sie ihm einfach abzuschneiden, prangte ein sorgfältig gestutzter Bart. Er blieb vor ihr stehen und musterte sie mit einem Blick, der ihr nicht gefiel. Sie fühlte sich immer unwohler und musste alle ihre Kräfte anzapfen, um sich jetzt nicht einfach um-zudrehen. Das überraschte sie selbst, aber Jiana blieb standhaft und konnte dem Blick von Kabil trotzen. »Ich habe genau wie du und jeder andere Mann das Recht, diese Prüfung abzulegen. Es steht nirgend-wo geschrieben, dass Frauen ausgeschlossen sind«, trotze sie seinen Ausführungen. »Na und? Es steht nirgendwo geschrieben, ja. Aber es ist Tradition und die muss nicht aufgeschrieben werden, die existiert einfach und hat Bedeutung. Du trittst das Erbe unserer Vorfahren mit Füßen. Dich interessiert nur dein eigener Erfolg. Andere sind dir doch völlig egal. Ich kenne so etwas bei Menschen. Deine Mutter mag dein Verhalten unterstützen, aber niemand sonst tut das. Du glaubst doch nicht wirklich, der Herausforderung gewachsen zu sein.« »Mach dich auf einen harten Kampf gefasst, Kabil. Ich werde mir von dir und deinen Mitläufern nicht das Recht auf Selbstbestimmung meines Schicksals neh-men lassen. Und wenn du mir weiterhin im Weg ste-hen solltest, dann wirst du wünschen, mir nie begeg-net zu sein!« Kabil lachte und setzte zu einer Entgegnung an, aber Jiana reagierte blitzschnell und stieß ihn mit bei-den Händen von sich. Er ruderte noch wild mit beiden Armen und versuchte sein Gleichgewicht wiederzu-finden. Dann kippte er wie ein gefällter Baum nach hinten und klatschte in das eiskalte Wasser des Bachs. Jiana watete in Richtung Ufer und erwartete jeden Moment eine Revanche. Doch die blieb aus. Als sie nach einigen Schritten über ihre Schulter sah, trieb Kabul auf dem Rücken und schaute ihr hinterher. Sie verdrehte die Augen und setzte ihren Weg unbeschol-ten fort: »Genieß die Aussicht, Idiot!« Frisch und angezogen, kehrte Jiana ins Dorf zu-rück. Es bestand zum Großteil aus kleineren und grö-ßeren Tipis, wie auch Zelten. Im Außenbereich, den Jiana durchquerte, um zum zentralen Platz zu gelan-gen, befanden sich die Stallungen. Es gab offene Ge-hege, in denen Schafe und Ziegen lebten. Sie schauten Jiana mit ihren großen glasigen Augen an und fraßen Gras aus einem Unterstand, der auch Wasser bereit-stellte. Sie machte einen kleinen Abstecher und ver-ließ den Weg, der sie direkt ins Zentrum des Dorfes geführt hätte. Ein Stück weit von den Gehegen der Schafe und Ziegen entfernt sah sie einzelne große Gitterboxen. Sie waren aus Metall geschmiedet und doppelt so hoch wie sie. In die Fläche des Metallkä-figs hätte man gut zweimal das Zelt ihrer Eltern hin-einstellen können und immer noch Platz gehabt, um es zu umrunden. Es gab insgesamt fünf solcher Käfi-ge, die jeweils an zwei nebeneinanderliegenden Seiten mit Holz abgedichtet waren und den Blick vom Inne-ren eines Käfigs zu einem anderen verwehrten. Bis auf einen Käfig waren alle leer. Jiana umrundete die Anlage und blieb vor einem der Käfige stehen. Kaum nahm sie der Insasse wahr, gab er ein tiefes Schnauben von sich. Der Kopf des Wesens hob sich ein Stück und es öffnete seine Au-gen. Im Zwielicht der aufgehenden Sonne leuchteten sie Jiana entgegen. Orange-Gelbe Facetten funkelten sie an und das sonderbare Farbspiel wurde davon abgelöst, dass sich die Augen ein zweites Mal öffne-ten. Die orangefarbene Nickhaut zog sich zur Seite und offenbarte einen dunklen Spalt, der schnell grö-ßer und kleiner wurde, als er Jiana versuchte zu fo-kussieren. »Hey mein Großer, wie hast du geschlafen?«, be-grüßte Jiana den Insassen freundlich. Dieser legte den Kopf schief und schaute sie er-wartungsvoll an. Allein der Kopf des Wesens war so groß wie Jiana. Es war von leicht grünlichen Schup-pen bedeckt und füllte die Hälfte des Käfigs aus, ob-wohl es sich eingerollt hatte wie ein schlafender Hund. Es hatte vier Füße, die Jiana im Stand überrag-ten und einen langgezogenen Körper trugen, auf des-sen Rücken zwei majestätische Flügel prangten, die nun eingeklappt auf seinem Rücken lagen. Sein Kör-per verjüngte sich in einen langen Schwanz, auf dem vereinzelte Schuppen standen und eine Art Kamm bildeten. Seine Beine endeten in große Pfoten mit scharfen Krallen. Der majestätische Lindwurm fing an zu gähnen und entblößte seine Zähne. Dann bettete er seinen Kopf wieder auf die Vorderpfoten und schloss die Augen. »Ja, ich wünschte, ich könnte auch noch länger schlafen, aber die Pflicht ruft mein Junge.« Ein Geräusch hinten den Gehegen weckte Jianas Aufmerksamkeit. Sie ging in Richtung der Quelle, einem Freigehege entgegen. Auf diesem befand sich ein weiterer Lindwurm. Ein Mann versuchte gerade eine Art zeremonielles Geschirr anzulegen. Seinem angehenden Träger schien das jedoch zu missfallen und drehte seinen Kopf immer dann in eine andere Richtung, wenn der Mann es ihm überlegen wollte. »Ach, komm schon. Ich weiß, dass du das Teil nicht gerne tragen magst, aber es ist ja nur für heute«, versuchte der Mann beruhigend auf das Tier einzu-wirken. Mit mäßigem Erfolg. Eine Hand berührte Jiana an der Schulter und sie zuckte vor Schreck zusammen. »Ach entschuldige, mein Kind, ich wollte dich nicht erschrecken. Du scheinst ja zutiefst fasziniert von diesem Schauspiel zu sein«, sagte eine ältere Da-me mit weißen Haaren. Sie waren zu kleinen Strähnen geflochten und wurden von einem Stoffband nach hinten gehalten. Sie lächelte Jiana freundlich entgegen. Diese erwiderte das Lächeln. Es war Hegga, die älteste Drachenmutter. So wur-den die Frauen bezeichnet, die sich um die Lindwür-mer kümmerten, wenn diese nicht unterwegs waren. Es war die traditionelle Aufgabe von ausgewählten Frauen, sich um das Wohlergehen der Lindwürmer zu sorgen. Die Aufgabe der Männer war das Führen der Tiere in die Schlacht. Zumindest war dies ursprünglich so. In Jianas Leben kam es bislang nicht zu einer sol-chen Situation. Sie lebten weitgehend friedlich und von der Außenwelt abgeschnitten. Bis auf den Kon-takt zu einigen anderen Dörfern von Drachenreitern und Siedlern waren sie auf sich gestellt. Ihr Dorf war auch nicht unbedingt gut für einen Krieg ausgestattet. Sie hatten lediglich zwei Lindwürmer in ihren Besitz. Es war ein außerordentlich schwieriges Unterfangen, geeignete Eier zu erbeuten. Nester wurden streng von den Elterntieren bewacht. Es war lebensgefährlich, sie zu bestehlen. Dazu kamen das Ausbrüten und die Aufzucht. Diese dauerte mindestens fünf Jahre, bis das Tier eine Größe erreichte, sodass es beritten wer-den konnte. Weitere Jahre folgten für die Ausbildung. Gelegentlich wurden sie angeheuert, um Diebes-banden zu jagen oder wichtige Karawanen zu schüt-zen. Dies füllte die Geldbörse des Dorfes und wurde durch alle Bewohner geteilt. Selbst die Kinder beka-men einen kleinen Anteil. Aber die große Zeit der Drachenreiter schien vorüber zu sein. Eine zwangs-läufige Folge von Frieden, so dachte Jiana. Nicht alle Frauen konnten auch Drachenmutter werden. Der Bedarf orientierte sich einerseits natür-lich an der Anzahl der Tiere, die es zu versorgen galt. Andererseits wurde von den Müttern ein hohes Maß an Hingabe erwartet, wozu nicht alle Frauen gewillt waren. Es bedeutete, auf eine Ehe zu verzichten und damit auch auf Kinder und Familie. Eine alte Tradition, die für Jiana wenig Sinn ergab. Vielleicht war es der andauernde Frieden, der ihr den Sinn dieses Handelns verschloss. Aber sie hatte einen anderen Plan für ihr Leben, als entweder allein die Lindwürmer zu versorgen oder als Hausweib oder Farmerin ihr Dasein zu fristen. Sie wollte die Welt sehen, Abenteuer erleben. Später konnte sie sich im-mer noch in die Geborgenheit eines einfachen Lebens zurückziehen. Und ein weiterer Grund war, das war vielleicht der wichtigste, sie wollte sich nicht aufgrund ihres Geschlechts oder unsinniger Traditionen in eine vorgefertigte Richtung lenken lassen. Allen Widrigkei-ten zum Trotz. Sie allein bestimmte über ihr Leben und kein anderer. »Du bist mal wieder viel zu ungeduldig, Jorick. Das überträgt sich auf seine Stimmung«, rief Hegga dem zusehends verzweifelnden Mann zu. Jiana konnte ein leises Kichern nicht unterdrücken und Hegga stupste sie mit der Hüfte an, musste dann aber selbst lachen. Der Mann schmiss das Geschirr zu Boden und drehte sich in Richtung der beiden Frauen. Mit hän-genden Schultern trat er auf die beiden zu. Er war vom Alter gezeichnet. Lange, angegraute Haare, fielen in sein sonnengegerbtes Gesicht, das von einem lan-gen Vollbart verdeckt wurde. »Ich reite jetzt schon fast mein ganzes Leben mit ihm und er macht immer noch diese Faxen, wenn er das Zeremoniengeschirr anlegen soll«, beschwerte sich Jorick und lehnte sich an den Zaun des Geheges. Der Lindwurm schaute ihm nach und schüttelte sich demonstrativ, als ob er seine Abneigung für den Schmuck noch einmal betonen müsste. Nun mag ein geschulter Beobachter zu dem Schluss kommen, dass der Umgang mit einem so gro-ßen und eigentlich in freier Wildbahn sehr aggressi-vem Raubtier recht gefährlich war. Das stimmte auch. Im Normalfall wagte es kein anderer Reiter, einen ihm fremden Lindwurm zu führen. Der Reiter und das Tier trainierten ihr ganzes Leben lang zusammen. An-ders als bei anderen Raubtieren, die natürlich auch Zuneigung und Vertrautheit ihrem Herrn entgegen-brachten, war ein Lindwurm bedingungslos loyal. Eine Besonderheit, die sich die Gemeinschaften der Drachenreiter zu Nutzen gemacht hatten. Die neu ge-schlüpften Jungtiere prägten sich auf ihren Herrn. Er verbrachte neben den Drachenmüttern die meiste Zeit mit ihnen. Sie wurden eine Einheit. Ausgewachsene Lindwürmer waren unmöglich zu zähmen. Das hohe Aggressionspotenzial der Spezies machte ein Zusam-menleben unmöglich und außerordentlich gefährlich. Deshalb banden sich die Reiter auch so früh wie mög-lich an ein Tier. Der Lindwurm überlebte, wenn er nicht in der Schlacht starb, seinen Reiter fast immer. Eine weitere Prägung war nicht immer einfach umzu-setzen. In einigen Fällen musste auch das Tier getötet werden, wenn es sich auf keine andere Person einlas-sen konnte. Das Tier benötigte Bewegung und selbst, wenn die Drachenmütter es weiterhin versorgen konn-ten, würde das Ressourcen verbrauchen. Einen Lind-wurm allein loszuschicken, barg ein hohes Risiko, da ohne die Verbindung zum Reiter die Instinkte über-nahmen. Zum Glück der Tiere und der Menschen war dies jedoch eher selten der Fall, auch wenn die Um-setzung einer neuen Prägung zeitintensiver war als bei einer Aufzucht. Jorick schaute zu Jiana. »Was ist mit dir? Versuch es doch mal.« »Jorick!«, zischte Hegga empört, »Das ist viel zu gefährlich. Und das weißt du ganz genau!« »Sie hat ihre Ausbildung fast abgeschlossen, oder nicht? Wenn sie die erste Reiterin werden will, dann sollte sie keine Angst zeigen. Oder überlegst du es dir noch mal, Jiana?« Die Alte trat auf Jorick zu und hob drohend den Finger. »Ich weiß, dass du dagegen warst, Jiana zur Initiation zuzulassen. Auch, wenn das nur die Inter-vention ihrer Mutter verhindert hat, hast du nicht das Recht, so abfällig mit ihr zu sprechen. Sie hat sich ihren Platz in den Reihen der Initianten schwer er-kämpft.« »Schon gut, schon gut! Ich halt ja den Mund«, er-widerte Jorick in einem übertrieben ehrfürchtigen Tonfall, der seine Meinung zu der Sache unmissver-ständlich klarmachte. »Ich verstehe schon. Deine Abfälligkeiten lassen mich kalt. Ich werde die Sache durchziehen, mit oder ohne deine Unterstützung. Ihr seid doch alle so fest-gefahren in euren ach so edlen Traditionen und Vor-urteilen, dass ihr mir selbst dann keine Anerkennung zeigen könntet, wenn ich erfolgreich meinen eigenen Drachen reiten kann. Aber es wird vielleicht irgend-wann die Zeit kommen, in der ihr mich braucht. Und dann lasse ich euch genauso fallen wie ihr mich jetzt!« Jianas Stimme überschlug sich fast bei ihren letzten Worten. Ohne auf die Reaktion der beiden zu warten, drehte sie sich um und lief in Richtung Dorfzentrum, wo auch ihr Tipi stand. »Du solltest dich schämen, Jorick. Auch wenn es nicht den klassischen Traditionen entspricht, so ist nicht ausgeschlossen, dass sie diesen Weg gehen darf. Anstatt sich der Meute von jungen Möchtegernreitern anzuschließen, solltest du sie unterstützen.« »Unterstützen? Es ist töricht von ihr. Wir haben hier Regeln, die seit Jahrhunderten gelten und das aus gutem Grund!« »Es gibt keinen Grund, der dagegenspricht, dass Ji-ana nicht den gleichen Weg gehen kann wie die restli-chen Initianten«, widersprach Hegga vehement. »Es ist mir verdammt noch mal egal, ob etwas da-gegenspricht oder nicht. Ich bin als Oberhaupt unserer Gemeinschaft dafür verantwortlich, unsere Lebens-weise zu schützen!« Hegga schaute tief in Joricks Augen. Dieser konnte ihrem Blick nicht lange standhalten. Dann öffnete sie das Tor und schlurfte mit ihrem gebückten Körper in Richtung des Geschirrs, welches immer noch auf dem Boden lag. Als sie es aufhob, stupste sie der Drache an und sie tätschelte ihm über die Nüstern. Ein zufrie-denes Schnaufen entfuhr ihnen und das Tier senkte seinen Kopf. Ohne große Anstrengung legte sie ihm das Geschirr an und verließ das Gehege, ohne ein weiteres Wort mit Jorick zu wechseln.

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auch als
Hörbuch!

Halius und Ezya sind auf einer Reise durch ein von Krieg und Leid geplagtes Land. Noch nie haben sie an ihrem Weg gezweifelt, bis sich etwas wandelt. Die Menschen verändern sich, stellen Fragen und die Dämonen, die sie plagen, treten zum Vorschein.Ein Kampf beginnt. Um ihn zu gewinnen, müssen die beiden Wanderer hinter das blicken, was scheint. Das Band, welches sie zusammenhält, wird zur Bürde und ihre Gefühle zueinander auf die Probe gestellt.Denn an einem Ort, an dem es keine Liebe gibt, da entfacht sie ein Inferno, das alles verändern wird.

 

Dark-Fantasy

Surreal - Sinnlich - Schaurig

Leseprobe

Der Wald endete. Wenn es denn einer war. Ab vom Weg begann das Dunkel der Schatten. Schwarze Arme reckten sich in die Höhe. An ihren Enden hatten sie unzählige Finger, die den Himmel verdeckten. Die Blätter in Grau, sie bildeten eine undurchdring-liche Masse. Doch das Rascheln im Wind verriet sie. Dort war ein leises Summen. Ein kontinuierliches Raunen, welches man nur hörte, wenn man aufmerksam lauschte. Es schien aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen. In dem von der Feuchtigkeit durchweichten Boden hinterließen seine Sohlen tiefe Abdrücke. Es kostete Kraft weiterzugehen. Liebend gerne wäre er einfach stehengeblieben. Hätte gewartet, hätte aufgegeben. Doch die Zeit vergisst nicht. Sie währt ewig, und so-lange sich das nicht änderte, war der Tod keine Option. Neben seinen im Matsch einsinkenden Stiefeln erkannte er eine weitere Spur. Rundliche Abdrücke, die den Weg weiterführten. Wasser sammelte sich in den Vertiefungen und plötzlich stach ihm ein Licht in die Augen, reflektiert von der Oberfläche der Flüssigkeit. Er sah auf. Ein Stück weit vor ihm sah er ihre Silhouette vor einem fast strahlenden Hintergrund. Der Eindruck täuschte, doch er lockte auch einen Funken Hoffnung in ihm hervor. Die Frau hob ihren Kopf und neigte ihn gen Himmel. Graue Wolken zogen über sie hinweg. Und dann war da ein Lichtstrahl, der durch diese undurchdringliche Decke hindurchstieß. Mondlicht, stellte er in Gedanken fest. Ein Ruck ging durch seinen Körper und der Morast unter seinen Füßen machte ein saugendes Geräusch, als er sich wieder in Bewegung setzte. »Seht nur, mein Herr. Die Dunkelheit hat ihr Ende gefunden. Ich sehe das Licht des Mondes. Wie lange ist es jetzt her? Eine gefühlte Ewigkeit. Geht es Euch nicht auch so?« In der Stimme der Frau schwang ein Singsang mit. Wie das Lied eines Vogels, an das er sich erinnerte. Er mochte es, wenn sie sprach und gerade deshalb musste er auf der Hut sein. Sie wusste davon und sie würde es einsetzen, um ihrem Streben nachzugehen. Es war ihre Natur. Dennoch konnte er sich ihrer Loyalität sicher sein. Zumindest, solange sie nicht das gefunden hatte, wonach sie suchte. Und das würde sie niemals tun. Er blieb neben seiner Begleiterin stehen. Das Licht des falschen Sterns zeichnete harte Schatten in ihr weiches Gesicht. So lieblich, von Schönheit und Jugend durchzogen. Ihr schwarzes Haar fiel ihr über die Schultern, den Strapazen ihres Marsches auf verwirrende Weise trotzend, das Licht des Mondes spiegelnd. Sie neigte den Kopf schräg, nur eine Nuance. Ihre Augen fixierten ihn und auf ihrem Mund zeichnete sich ein Lächeln ab.»Mein Herr. Glaubt Ihr, wir haben unser Ziel endlich erreicht?« Einen Wimpernschlag lang blieb sein Blick noch an ihren dunklen Augen haften, dann ließ er von ihnen ab. Der Weg führte abwärts. Er schlängelte sich den Hügel, auf dem der Wald geendet hatte, hinab, vorbei an Weiden und Feldern, in Richtung einer Ortschaft. Es war kein Licht zu sehen, keine Fackeln, keine Laternen, nur der Rauch aus den Schornsteinen einzelner Häuser war zu erkennen. Und noch etwas anderes. Etwas Bedrückendes, was sich in seiner Brust manifestierte und sie zu verschnüren schien. »Wir werden sehen, was wir finden werden. Aber sei achtsam! Dieses Land ist verdorben. Hier lauert mehr als nur der Tod auf die Menschen.« Mit Zeige- und Mittelfinger strich die Frau über seinen Rücken. Dann machte sie einen Schritt und sah ihm wieder in die Augen. »Habt Ihr mich einmal nicht achtsam erlebt, mein Herr? Ich erkenne Eure Wünsche, noch bevor Ihr sie aussprechen könnt. Wenn das nicht als achtsam gilt, oder meint Ihr nicht?« »Ezya?« Sie sah ihn noch einige Sekunden abschätzend an, dann hob sie eine ihrer Brauen und verdrehte die Au-gen. Sie neigte ihren Kopf nach unten, um gleich da-rauf ihren Blick wieder auf ihren Gesprächspartner zu richten. Eine unterwürfige Geste, gepaart mit dem verführerischen Schwung ihrer Wimpern. Sie wusste, was sie tat. »Ich habe verstanden, mein Herr. Ich werde achtsam bleiben.« Er nickte leicht und setzte sich ohne ein weiteres Wort in Bewegung. Eine Wohltat, musste er feststellen. Der Weg war fest und zu Fuß gut begehbar. Ganz anders als die Tortur, die er hinter sich hatte. Ezya holte ihn ein und setzte sich dicht neben ihn. Er war ihre Nähe bereits gewohnt. Sie brauchte keinen Freiraum, zumindest hatte sie ihn nie eingefordert. Der Tag, an dem das geschah, würde für immer in seinem Gedächtnis bleiben. Er schmunzelte. »Was amüsiert Euch an diesem Ort? Ich finde ihn«, sie machte eine Pause und sprach dann weiter, »beunruhigend.« Ihr Blick richtete sich auf einen Baum, der hinter einem morschen Weidezaun lag. Selbst das fahle Mondlicht war nicht in der Lage, ihn zu erhellen. Eine leichte Brise kam auf und wehte den unverkennbaren Geruch von Verwesung in ihre Richtung. Die Person, die an einem Strick unter dem starken Ast der Eiche baumelte, schwang langsam hin und her. Die Arme hingen schlaff an ihrem Körper herab, wahrscheinlich ein Bauer, der sich das Leben genommen hatte. »Wir haben weitaus Schlimmeres gesehen.« Er sah wieder in ihr Gesicht. »Verstörende Dinge, die einen Menschen nahe an den Wahnsinn treiben würden. Noch nie hast du dich deshalb unwohl gefühlt.« »Ich weiß auch nicht. Möglicherweise bin ich einfach erschöpft. Möglicherweise brauche ich einfach nur ein wenig Ruhe. Zu zweit, wenn Ihr versteht, was ich meine.« Das leichte Kopfschütteln ihres Gegenübers ließ sie einen Schritt zurückweichen. Ezya zeigte die Zähne und stieß eine Art Fauchen aus. »Halius, Ihr seid ein hoffnungsloser Fall. Wir reisen schon so lange zusammen. Ich empfinde mehr für Euch als nur Treue, versteht Ihr?« Dem Mann, der in einer schlichten grauen Robe vor Ezya stand, war die Anspannung anzusehen. Sein Kiefer mahlte und die junge Frau hob beschwichtigend beide Hände. Halius senkte resigniert den Kopf. »Nein, tust du nicht und das weißt du.« Ezya zog die Luft durch ihre Nase ein und hob ihr Kinn ein Stück höher. Mit zusammengepressten Lippen hielt sie dem mahnenden Blick ihres Begleiters stand. Dieser wandte sich ab und setzte seinen Weg fort. Die Straße machte einige Biegungen, führte die beiden Reisenden jedoch unablässig näher an die Ortschaft heran. Der Geruch von verbranntem Holz lag in der Luft und mischte sich unter den von Moder und Verwesung. Ein einsames Pferd stand hinter einem Zaun und näherte sich. Der Hengst bot einen bemitleidenswerten Anblick. Abgemagert und voller Schmutz. Seine großen, glasigen Augen blickten er-wartungsvoll den Neuankömmlingen entgegen. Ezya kreuzte Halius’ Weg und näherte sich elegant dem Tier. Er sah ihr hinterher. Sie konnte nicht anders, dachte er und fragte sich daraufhin, ob sie jemals in der Lage sein würde, über sich selbst hinaus-zuwachsen. Vielleicht fehlte ihr die richtige Motivation dazu. Aber er war nicht derjenige, der sie ihr geben würde. Sie war ihm nützlich und das wollte er zum jetzigen Zeitpunkt und auch in Zukunft nicht ändern. »Lass das Wesen in Frieden, Ezya. Du weißt nicht, ob es eine Gefahr darstellt«, sagte Halius seiner Einschätzung nach etwas zu leise, damit Ezya darauf reagierte. Wie erwartet, tat sie es nicht. Mit ihrer Linken liebkoste sie das Tier und strich ihm sanft über die Nüstern. Ihre makellose helle Haut schien im Mondlicht zu strahlen. Ihre schwarzen Nägel waren trotz der Reise im perfekten Zustand. Halius wollte sie schon einmal fragen, wie sie das anstellte, aber er legte es lieber nicht darauf an. Der Austausch von persönlichen Dingen regte sie an. Er hatte jetzt keine Zeit für ein Geplänkel mit ihresgleichen. Er musste rasten und brauchte seine letzten Reserven für das, was vor ihnen lag. Diese Ortschaft hieß niemanden mehr willkommen, so schätze er. Hier hatte das Elend bereits vor langer Zeit Einzug gehalten und nichts außer Leid und Verzweiflung dagelassen. Eine Realität, die sie beide verfolgte. Aber weder Ezya noch er waren der Grund für das, was in diesem Land geschah. »Mein armer Junge. Du sehnst dich nach Aufmerksamkeit und Liebe, nicht wahr? Ich könnte sie dir geben, aber mein Begleiter hätte etwas dagegen«, säuselte Ezya dem Pferd in die Ohren. Dieses rieb seinen Kopf an ihrer Hand. Halius kannte das. Es war ein Akt der Verzweiflung, die ein Tier einem Tier entgegenbrachte. Eine Beute seinem Jäger. Seine Begleiterin wandte sich zu ihm und streckte in einer Art melodramatischer Geste ihre Hand in sei-ne Richtung aus. Ihre Augen funkelten fast so tief und schwarz wie die des Hengstes. Halius schnaufte und griff in den Beutel, den er um die Schulter trug. Ein grüner Apfel kam zum Vor-schein. Ein Farbklecks des Lebens, der so gar nicht in das Panorama des Elends passte, in dem er sich hier befand. Mit einem gekonnten Wurf landete das Obst in Ezyas geöffneter Hand. Sie lächelte. »Als ob das deine Seele retten würde. Du verteilst unseren Proviant an ein zum Tode verurteiltes Tier.« Sein Gegenüber verzog keine Miene bei den Worten. Stattdessen biss sie genüsslich ein Stück aus dem Apfel heraus und kaute demonstrativ, ohne die Augen von Halius abzuwenden. Dann hielt sie dem Hengst die Köstlichkeit hin, die er gierig anknabberte, bis das letzte Stück aus Ezyas Hand verschlungen war. Das Tier stieß ein heiseres Wiehern aus, wandte sich abrupt um und lief daraufhin zurück auf die Koppel. Ezya wischte sich die Hand an ihrer Hüfte ab und näherte sich. »Ihr glaubt tatsächlich, ich hätte eine Seele? Wie rührend von Euch. Ich dachte, ein wenig Mitgefühl würde mein Karma verbessern. Wer auch immer irgendwann über mich richtet, dem wird diese Geste bestimmt auffallen.« »Du verwechselst Mitgefühl mit Mitleid. Du hast das Leid des Tiers nur verlängert. Du kannst es nicht retten«, entgegnete Halius daraufhin. »Was ist falsch daran? Von meiner Position aus, nichts.« Halius grunzte etwas und setzte seinen Weg fort. Der Wind wurde stärker und wehte schwarze Rauchschwaden an den beiden Wanderern vorbei. Der Geruch von verkohltem Holz stieg in ihre Nasen. Am Ortsrand befand sich ein abgebranntes Haus. Das Feuer hatte es zum Einsturz gebracht. Holzbalken stachen wie die Reste von Rippen hinter den niedergerissenen Wänden hervor. Es konnte nicht lang her sein, dass die Flammen gewütet hatten. Waren die Einwohner nicht in der Lage gewesen, den Brand zu löschen? Oder wollten sie es gar nicht verhindern? Die Antwort darauf ergab sich ein Stück weiter die Straße entlang. Mittig des Weges lagen die Überreste eines Feuerplatzes. Ezya hielt ihre Nase in die Höhe und schnupperte. »Hier hat der Tod Einzug gehalten, Halius. Ich kann noch die Angst der Menschen riechen, die hier verbrannt wurden. Ein Scheiterhaufen. Glaubst du, uns wird es ebenso ergehen?« Halius schlenderte an den schwarzen Überresten vorbei. Wie eine Puppe sah er aus. Ein vertrockneter Körper. Die Arme verkrampft, die Hände zu Klauen geformt. Tiefschwarze Augenhöhlen starrten ins Leere, der Mund unnatürlich weit aufgerissen. Die letzten Minuten des Lebens dieses Menschen würde er nie wieder vergessen, egal in welche Gefilden er trat. Hatte er es verdient, oder war er unschuldig? Nein, niemand war hier unschuldig. Die Sünder straften die Sünder. Ein Kreislauf des Schreckens und des Leids, der niemals enden würde. »Halius! Ich kann Eure Gedanken fast schon hören. Ich sehe die Finsternis in Euren Augen. Das ist der falsche Weg zur Erlösung, mein Herr«, sagte Ezya und riss den hochgewachsenen Mann damit aus seiner Melancholie. »Was weißt du schon von Erlösung? Du denkst doch tatsächlich, du könntest diesen Kreislauf mit deinem Körper aufbrechen. Du nutzt ihn als Waffe und bist für die Verderbtheit dieses Aktes blind. Mache dir lieber Gedanken um deine eigene Erlösung, nicht um meine.« Der Kiefer der Frau bewegte sich hin und her, sie schwieg jedoch mit einer nicht zu übersehenden Spur Verachtung in ihren Augen. Er war vielleicht zu weit gegangen mit seinen Worten, dachte er. Aber die Erschöpfung veränderte ihn. Ließ ihn nur noch das Grau dieser Welt erkennen. Und dabei wollte er sich doch Mühe geben, es anders zu sehen. Er trat einen Schritt auf die Überreste des Scheiterhaufens zu und sah sich um. »Jemand konnte entkommen. Er oder sie wollte fliehen.« Er deutete mit der Hand auf das abgebrannte Haus. »Wollte nach Hause. Diese Menschen waren Sünder, aber sie hatten die Taten, für die sie hier gerichtet wurden, nicht begangen.« »Mich beeindruckt immer wieder Eure Eingebung. Wie auch immer Ihr auf diese Schlussfolgerungen kommt«, antwortete Ezya abfällig. Halius sah auf und in die mandelförmigen Augen seiner Begleiterin. »Lag ich jemals falsch mit diesen Schlussfolgerungen?« Die Frau senkte den Blick und schüttelte daraufhin den Kopf. »Nein, mein Herr. Ihr werdet damit recht haben.« Dann sah sie wieder auf, mit einer Spur Neu-gier in ihren Augen. »Was, meint Ihr, hat das zu bedeuten?« »Ich weiß es nicht. Und ändern wird eine Erkenntnis darüber ebenfalls nichts.« »Wäre es nicht einer Überprüfung wert? Warum sonst hattet Ihr diese Eingebung? Vielleicht ist es ein Zeichen …« »Wage es nicht weiterzusprechen. Dir steht weder zu, über ihn zu sprechen, noch seinen Willen zu interpretieren!«, unterbrach Halius seine Begleiterin scharf. Diese verstummte augenblicklich und senkte wieder den Kopf. Er atmete tief ein. Dann ging er weiter. Eine einsame Straße führte durch den Ort. Die Häuser waren heruntergekommen, voller Moos und man erkannte einige Löcher in den Dächern. Es war fast überall so, dachte Halius. Ein Anblick, an den er sich bereits gewöhnt hatte. Es herrschte ein ewiger Krieg. Generationen wuchsen auf und starben, ohne dass sie jemals so etwas wie Frieden kennengelernt hatten. Diese Menschen hatten keine Vorstellung von ihm. Sie wussten nicht, was es bedeutete, nicht zu kämpfen. Keine Angst haben zu müssen. Nicht dem Tod zu begegnen. Auf gewisse Weise empfand er Mitleid mit ihnen. Er selbst hatte sein Leben lang gekämpft und war daran zerbrochen. Das war schlimmer als der Tod. Das war seine ganz persönliche Hölle, hatte er mit Schrecken festgestellt. Wie absurd dieser Gedanke war, das wusste niemand so gut wie er. Die Wahrheit, die sich in diesen Landen wie im Nebel versteckte. Man erkannte sie erst, wenn es bereits zu spät war. Aus einem zweistöckigen Gebäude zu ihrer Rechten kamen Geräusche. Durch die von Ruß und Schmutz geschwärzten Fenster drang ein Flackern, Licht. Ein Schild, dessen Aufschrift man nicht mehr lesen konnte, schwang im Wind und gab ein leises Quietschen von sich. »Eine Taverne, wenn ich das richtig deute«, sagte Ezya. Halius nickte und näherte sich der Eingangstür. Nun vernahm er auch Stimmen aus dem Inneren. Dort waren Menschen, wenn er Glück hatte.

Das brennende Einhorn

auch als
Hörbuch!

Kwill ist eine Adeptin der Inquisition. Sie wird ausgebildet, magische Entitäten, abtrünnige Zauberer oder sogar Drachen zu jagen. Doch ein Auftrag geht schief und sie wird unter Arrest gestellt.
Lange muss sie auf ihren Prozess warten, doch plötzlich wird sie mit Inquisitor Orlin auf eine Mission entsandt. Das weckt Misstrauen in ihr. Besonders, weil sie Orlin noch nie gesehen hat.
Als der verschwiegene Mann dann endlich sein Schweigen bricht, traut sie ihren Ohren kaum. Die beiden sollen tatsächlich ein Einhorn jagen. So amüsant das zu Anfang klingt, so schnell wird Kwill klar, dass mehr hinter der ganzen Sache steckt. Die Suche nach Antworten beginnt, denn der Tod ist ihr bereits auf den Fersen.

Leseprobe

Die Schmiede war ein Gebäude, welches an der Front durch eine offene Wand betreten werden konnte. Mit dem Ofen im Rücken erkannt Tim die schiefen Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Alles kleine Katen, durch deren Fenstern man nun in der Dämmerung das Licht brennen sah. Und dann war da auf einmal diese Stille. Erst hatte Tim Angst, seinen Gehörsinn verloren zu haben, aber das Knacken des Feuers belehrte ihn eines Besseren. Es war ein sonderbarer Anblick, als vor der offenen Schmiedewand eine menschenähnliche Silhouette entlanglief. Als ob die Zeit selbst in die Länge gezogen wäre, wirkten die Bewegungen des Menschen absurd verlangsamt, wenngleich er doch in höchster Panik sein musste. Denn sein Körper glich einer brennenden Fackel. Er zog ein gelbrotes Flammenmeer hinter sich her. Kleidung war schon nicht mehr als solche zu identifizieren und in den Flammen erkannte Tim nur noch eine pechschwarze Silhouette. Die lebende Fackel stoppte abrupt, dann wandte sie sich ihm zu. Ihre Augen. Er erkannte ihre Augen! Und als sich ihre Blicke trafen, da vermochte Tim in ihnen keine menschliche Seele mehr zu erkennen. Wie verdrängt durch den Schmerz war alles, was er noch in ihnen erkennen konnte, der Wahnsinn. Blitzschnell hetzte die Person auf Tim zu. Hinter sich spürte er die Hitze des Schmiedeofens. Wenn er weiter zurückwich, dann würde es ihm genauso ergehen wie sein Gegenüber. Hektisch schnellte sein Blick durch den Raum. Ausweichen war keine Opti-on! Er griff nach hinten und bekam eine der Zangen zu fassen. Durch das Leder des Handschuhs spürte er die Hitze des Metalls, doch in diesem Moment blieb ihm nichts anderes übrig, als sie zu ignorieren. Die glühende Zange würde die menschliche Fackel nicht mehr abschrecken. Und so gab er sich einen Ruck und hoffte auf das Beste. Tim schwang die Zange mit aller Kraft, die er hatte, in Richtung der sich schnell nähernden Person. Dann traf sie auf ihr Ziel. Sein Ziel wurde von der Wucht zur Seite geschleudert. Funken schlugen Tim ins Gesicht und er kniff die Augen zusammen. Die brennende Person fiel scheppernd in den Wassereimer neben der Schmiede. Ein Zischen war zu hören und dann eine Art Brutzeln, als ob man Fleisch auf einen Grill legen würde. Tim sah vor sich auf den Boden. Der Wassereimer hatte das Feuer am Kopf des geschwärzten Körpers gelöscht. Die Flammen brannten jedoch immer noch lichterloh. Flüssigkeit trat aus der offenen Wunde des Schädels und dann ging ein Zucken durch den gesamten Leib. Dann nichts mehr.

Das Ei aus Obsidian - Die Heldenreise

Das Ei aus Obsidian

Im Niklam-Gebirge verdienen sich der Gnom Vill Gosboll und seine Gruppe von erfahrenen Drachenjägern ihre Münzen. Doch bei einem Auftrag geht anscheinend alles schief. Dabei sollten sie doch lediglich einen Drachen für Forschungszwecke ausfindig machen. Einen rosa Drachen!
Ehe sich Vill versieht, verliert er alles. Doch es gibt noch Hoffnung. Wenn diese nur nicht ausgerechnet dieser Drache wäre, dessen Ei der Schlüssel zur Rettung oder dem Verderben vieler Leben ist!
Gibt es eine Chance, damit aus Feinden Freunde werden? Denn dafür müsste Vill dieser blutrünstigen Bestie Vertrauen schenken und seine Vergangenheit endgültig begraben.

Leseprobe

Drachenjagd Die Sonne war dabei, den Horizont zu berühren. Über den Gipfeln der Berge lag ein diesiger Dunst und es wurde allmählich kälter. Der Herbst hatte in diesem Teil des Niklam-Gebirges bereits Einzug gehalten und die fallenden Temperaturen kündeten vom sich schnell nähernden Ende des Jahres. In einigen tieferen Gebieten hatte die Kälte noch kein Einzug genommen. Die vielen verschiedenen Arten von Vögeln nutzten diese letzten Wochen noch aus. Oft verblieben die Schwärme eine Weile in den warmen Tälern, um dann in den Südosten zu fliegen. Doch die Drachen waren da anders. Sie ließen sich nicht von der Kälte vertreiben und blieben in der Regel sesshaft. Wenn sie einmal ein Nest gebaut hatten, dann wurde es oft einige Jahre genutzt, bis sie sich einen neuen Platz suchten. Der majestätische Lindwurm drehte seine Runden über seiner Heimat. Hoch auf einem Felsen hatte er sein Zuhause gebaut. Fressen musste er nur selten, denn Drachen konnten auch ohne Nahrung eine ganze Weile überleben. Das verschaffte ihm die Zeit, sich in der schwindenden Wärme der Sonne zu baden oder auch bisweilen, ziellos durch die Lüfte zu streifen. Lindwürmer galten als höchst aggressive Zeitgenossen. Sie griffen oft wahllos Menschen an, hielten sich jedoch meistens von Siedlungen fern. Nicht, dass es im Niklam-Gebirge viele Siedlungen geben würde. Und trotz ihrer offensichtlich feindseligen Natur, hatten es die ansässigen Menschen geschafft, die Tiere zu domestizieren. Drachenreiter wurden sie genannt. Die Tiere wurden, noch bevor sie geschlüpft waren, von ihren Eltern getrennt. Das war ein gefährliches Unterfangen, denn die Elterntiere verteidigten ihr Nest in der Regel mit ihrem Leben. Mit den Jahrzehnten, die vergingen, schrumpfte die Population von Lindwürmern immer weiter. Das lag weniger an den Drachenreitern, die vereinzelt einmal ein Ei erbeuteten. Es lag vielmehr an der Natur der Drachen selbst. Denn sie brüteten nur gut alle zehn Jahre. Der Verlust einiger weniger Tiere konnte des-halb schon den Unterschied machen, ob sie in einem Gebiet ausstarben oder nicht. Nicht ganz unschuldig waren daran auch nicht die gefürchteten Drachenjäger. Von den Mitgliedern der Drachenreiter verachtet, machten sie sich für Geld auf die Suche nach ihren Opfern. Es waren entweder Edelleute, die viel Geld für den Kopf eines echten Drachen zahlten, oder sie wurden von ansässigen Siedlungen angeheuert, um einer Bedrohung Herr zu werden. Viele der Drachenjäger machten dabei keinen Unterschied, ob diese Bedrohung wirklich real war oder nur der Angst der Menschen entsprang, die Drachen für den fliegenden Tod hielten. Elterntiere wurden von ihnen gnadenlos getötet. Die Eier oder Jungen blieben dann meist zurück und verendeten qualvoll, wenn sie nicht auch erlegt wurden. Jungdrachenfleisch genoss in den höheren Schichten der Gesellschaft den Ruf, heilende Kräfte zu besitzen. Ob das wirklich stimmte, wussten nicht einmal die Gelehrten der Universität von Alberdon. Der Lindwurm, der am Himmel seine Runden drehte, war ein Einzeltier. Ein Männchen, welches wahrscheinlich noch keine Partnerin gefunden hatte. Er flog einen Bogen und streifte auf seinem Weg in Richtung des Nestes die Baumwipfel. Machte er das aus Spaß? Vielleicht gefiel ihm das Gefühl der Blätter und Äste an seinen Klauen. Wer wusste das schon? Das Tier blickte in Richtung Boden, als es eine kleine Lichtung überflog. Dort sah es etwas. Ein merkwürdiges Konstrukt, dessen Zweck das Tier nicht verstehen konnte. Und in diesem Moment schoss et-was auf das Geschöpf zu und traf es mitten in die Flanke. »Zieht das Seil ein! Nun macht schon, sonst befreit sich diese Bestie wieder!«, schrie Vill seinen Kamera-den zu. Der Gnom, der die Balliste abgefeuert hatte, begann an einer Kurbel zu drehen. Vill und zwei weitere Gnome liefen unterdessen auf den zappelnden Lindwurm zu, der nach dem Treffer in die kleine Lichtung gestürzt war. Hier würde er aufgrund der hohen Bäume Probleme haben, wieder aufzusteigen. Vill und seine zwei Begleiter stoppten. Die Arm-brüste, die sie trugen, wirkten überdimensioniert für ihre Körpergröße. Gnome waren kleiner und schmächtiger als Zwerge. Doch was sie an körperlichen Attributen einbüßen mussten, machten sie an geistigen wieder wett. Zumindest behaupteten sie das von sich selbst. Ein unangenehmes Quietschen erklang hinter Vill und er wandte den Blick zurück zur Balliste. Das Seil war bis zum Zerreißen gespannt. Wenn sie sich nicht beeilten, würde es wahrscheinlich reißen oder die Balliste vom Wagen ziehen. Der Gnom neben Vill legte an. »Nein! Das ist noch zu früh. Wir müssen näher heran!«, rief Vill seinem Kameraden Fenni zu. Fenni Blomm war der beste Armbrustschütze in seinem Team. Im Normalfall vertraute Vill auf seine Fähigkeiten und ließ ihm freie Hand. Doch bei diesem Auftrag ging es um mehr als nur ein paar Münzen, die die Gruppe bitter nötig hatte. Erfolg würde unweigerlich zu weiteren Aufträgen führen, schätzte Vill. Denn ihr Auftraggeber stammte aus der Oberschicht von Alberdon. Ein reicher Schnösel, der ein kleines Ver-mögen für einen Drachenkopf in Aussicht gestellt hatte. Der Lindwurm zappelte immer noch wild umher. Ein Schuss aus dieser Entfernung könnte seinen Kopf treffen. Das würde die Sache zwar schnell beenden, aber der Auftrag wäre gescheitert. Der Edelmann zahlte nur für unversehrte Ware. Das ging aus der Auftragsbeschreibung des Schiebers eindeutig hervor. Fenni schoss dennoch seinen Bolzen ab. Das Projektil flog blitzschnell auf das Tier zu und traf es knapp über der Schulter. Der Aufschlagwinkel war dabei so flach, dass es von der dicken Schuppenhaut abgelenkt wurde und in den Wald flog. »Verdammt!«, fluchte Fenni und machte sich da-ran, seine Armbrust nachzuladen. Das kostete unnötig Zeit. Ein Lindwurm konnte nicht mit einem Schuss erlegt werden, außer man traf den Kopf. Sie mussten das Tier gezielt bewegungsunfähig machen und dann töten. Vill verzog das Gesicht und warf seinem Kamera-den einen bösen Blick zu. Fenni tat es ihm gleich, widmete sich dann jedoch seiner Armbrust. »Das Seil wird nicht halten! Wir müssen hier weg!«, schrie Tahni den beiden Männern entgegen. Ihr rosa Zopf schwang mit ihren Kopfbewegungen mit. Ein wunderschöner Anblick, dachte Vill. Was für ein Weib! Und was für ein Blick, den sie ihm jetzt zuwarf! Er musste sich zusammenreißen. Vill drehte sich zu Fenni und versuchte ihn mit sich zu ziehen. Dieser protestierte und spannte weiter seine Armbrust. »Verdammt, kommt schon!«, rief Tahni erneut. Als sich Vill zur Balliste sah, kippte diese bereits bedrohlich weit nach vorn. Lumer, der Gnom, der die Waffe abgefeuert hatte, sprang vom Wagen, um sich in Sicherheit zu bringen. Dann hörte Vill das unverkennbare Knacken des Holzes. Die Verbindungsbolzen am Wagen gaben nach und die Balliste wurde aus ihren Verankerungen gerissen. »Scheiße, verdammt!«, fluchte er noch. Tahni warf sich rechtzeitig zur Seite, um nicht vom Seil oder der Waffe erwischt zu werden, die nun wie ein Geschoss auf den Lindwurm zuflog. Vill und Fenni hatten keine Zeit mehr zur Seite zu springen. Vill hob noch schützend den Arm vors Gesicht und sah zu, wie die Balliste auf ihn zuraste. Knapp vor den beiden verkantete sie sich dann zwischen zwei Felsen, die aus dem Boden ragten. Vills Herz schlug wie verrückt. Mit aufgerissenen Augen sah er sich wieder um. Der Lindwurm hatte inzwischen wieder genug Spielraum, um sich zu bewegen. Er richtete sich auf und begann mit seinen Flügeln zu schlagen. »Der haut ab! Wenn ihm das gelingt, dann finden wir ihn nie wieder!«, rief Tahni. Vill sah zum Drachen. Was sollte er jetzt tun? Er legte mit seiner Armbrust an und zielte. Tahni starrte ihn einen Moment lang untätig an, dann besann sie sich und tat es ihm gleich. Vills Bolzen zischte durch die Luft. Sein Ziel war die Flanke des Tiers, die Stelle, an der sein Herz saß. Doch es schien wie verflucht. Das Geschoss traf auf sein Ziel und zersprang in zwei Hälften. »Scheiße! Was sind das für Bolzen? Hast du wieder gespart, Fenni?«, rief Vill entnervt. »Unser Budget ist gleich null! Ich musste das nehmen, was da war!«, verteidigte sich der Gnom. Vill grummelte etwas Unverständliches und ließ seine Armbrust fallen. Dann rannte er auf den Drachen zu. Tahni sah auf. Sie hatte ihren Bolzen bislang nicht verschossen. »Was hast du vor, Vill? Das ist doch Wahnsinn!«, rief sie ihm nach. Doch Vill ignorierte seine Kameradin einfach. Er lief die Lichtung entlang, genau auf das verwundete Tier zu. Der Drache versuchte immer noch in die Luft zu steigen. Das war mit dem Seil im Brustkorb schwerer, doch so wie es aussah, war es nur eine Frage der Zeit, bis es ihm gelang. Kurz bevor der Gnom seine Beute erreichte, hob der Drache vom Boden ab. Vill würde zu spät kommen. Ein metallisches Schaben hinter ihm kündete davon, dass die Balliste sich wieder gelöst hatte und wahrscheinlich hinter dem Tier hergezogen werden würde. Vill ergriff aus Verzweiflung einfach das Seil und wurde mitgerissen. Der Lindwurm gewann an Höhe, während der Drachenjäger noch am Seil baumelnd, wild mit den Beinen strampelte. Dann schrie das Tier erneut auf. In Vills Körper breitete sich das unangenehme Gefühl aus, zu fallen. Als er hochblickte, hatte der Drache aufgehört, mit den Flügeln zu schlagen. Ein kleiner Bolzen steckte in seinem Flügelgelenk und blockierte anscheinend jegliche Bewegung. Tahni hatte ihn mit ihrer Armbrust getroffen! Der Sinkflug des Drachen endete abrupt, als das Tier in die Baumwipfel am Rande der Lichtung krachte. Vill peitschten unzählige Äste ins Gesicht, dann schlug ein dickeres Exemplar genau in seinen Bauch. Eigentlich war es andersherum: Der Ast bremste seinen Fallen schlagartig ab, der Gnom drehte sich um das Gewächs und fiel danach weiter zu Boden. Zum Glück war die Höhe nicht mehr gefährlich, was nicht hieß, dass es schmerzlos war. Für eine Weile blieb Vill einfach liegen. Etwas drückte in seinen Rücken. Wahrscheinlich ein spitzer Stein. Er hörte ein Summen um sich herum. Als er den Kopf wandte, erkannte er eine große Libelle, die sich auf seine Schulter gesetzt hatte. Er stöhnte. »Hallo, meine Gute. Willst du prüfen, ob ich tot bin?«, keuchte er angestrengt. »Leider nicht! Bist du denn vollkommen verrückt geworden? Du hättest sterben können!«, patzte Tahni ihn an. »Was ist mit dem Lindwurm? Ist sein Schädel noch intakt?«, erwiderte Vill. Tahni starrte ihn einen Moment lang mit aufgerissenen Augen an. Ihre Mundwinkel zuckten, als ob sie etwas sagen wollte. Doch dann drehte sie sich einfach um. »Der ist doch vollkommen durchgeknallt! Ich mache das nicht mehr mit! Ich bin raus. Ich will das nicht mehr!«, keifte sie Fenni entgegen, der ein Stück weit entfernt stehengeblieben war und das Bild auf sich wirken ließ. Vill hob den Kopf und versuchte zu sehen, was Tahni tat. Dann sackte er wieder zurück auf den Boden. Als er die Augen wieder öffnete, sah er in Lumers Gesicht. Die Haare des Gnoms waren golden wie Weizen. Er trug einen Vollbart und hatte die Haare seiner Oberlippe zu zwei imposanten Spiralen gezwirbelt. Er reichte ihm die Hand. »Bist du verletzt?«, fragte Lumer. Vill schüttelte den Kopf, obwohl er sich dessen eigentlich noch gar nicht sicher war. Sein Blick suchte den Drachen. Dieser lag einige Meter weiter am Boden. Er war wie Vill in die Bäume gestürzt. Nur hatte er deutlich weniger Glück gehabt, denn einer der Stämme hatte seinen Hals durchstoßen und ihn damit getötet. Der Kopf des Tiers hing erschlafft zur Seite herunter. Seine offenen Augen starrten ins Leere. Vill atmete tief durch. »Das ging ja noch einmal gut. Mit der Belohnung, die wir kassieren werden, reparieren wir auch die Balliste. Und wir brauchen dringend bessere Bolzen. Darum wirst du dich kümmern, Fenni«, sagte er, ohne sich zu den anderen umzudrehen. Lumer stöhnte. Als ihn Vill daraufhin ansah, erkannte er in seinem Ausdruck das Missfallen über seine Worte. »Was?«, fragte Vill nach. Lumer schüttelte nur den Kopf. »Das Einzige, woran du denkst, ist die nächste Jagd. Es gibt auch noch anderes. Wenn ich du wäre, dann würde ich das mit Tahni endlich klären. Ansonsten sehe ich für unsere Gruppe hier keine Zukunft.« »Was soll das denn heißen? Wir hatten doch Er-folg, oder nicht? Mit dem Geld kommen wir einige Monate über die Runden. Ich verstehe das Problem nicht«, erwiderte Vill. Lumer sah ihn nur an. Dann hob er die Hand und winkte resigniert ab. Als er ging, sah Vill zu Fenni, der lediglich mit den Schultern zuckte. Jetzt kam der wirklich unschöne Teil der Arbeit eines Drachenjägers. Ihr Auftraggeber verlangte den Kopf des Tiers. Seine Kameraden hatten sich auf die Reste des Wagens gesetzt, auf dem die Balliste montiert gewesen war und tranken etwas. Doch Vill war noch nicht so weit, die Füße hochzulegen. Mit einer Axt hackte er immer wieder auf den Hals des Drachen ein. Ihn störte diese Arbeit weniger. Nicht so wie seine Kameraden, die sich tunlichst davor zu drücken schienen. Er bemerkte ihre Blicke in seinem Rücken. Wie sie ihn ansahen, wenn er die Klinge immer und immer wieder in das Fleisch dieser Bestie grub. Er wusste, sie verstanden es nicht. Sie würden es niemals verstehen, denn sie hatten nicht das erlebt, was er erlebt hatte. Er kannte die Natur dieser Bestien. Sie gehörten nicht in diese Welt. Ein Geräusch weckte seine Aufmerksamkeit. Als er zur Seite sah, erblickte er das bekannte Antlitz von Zotti. Wahrscheinlich hatte ihn Tahni aus seinem Käfig gelassen. Entweder wollte sie ihn damit ärgern, oder Zotti sollte ihn empfänglicher für ihre Argumente machen. Der schwarze Schattenwolf schnüffelte interessiert am Leichnam des Drachen und blickte dann mit seinen leuchtend grünen Augen zu Vill. »Lass dir nichts einfallen, Junge! Wenn du dich im Blut dieser Bestie wälzt, dann schläfst du diese Nacht allein!«, mahnte Vill seinen treuesten Begleiter. Wenn es nach ihm ginge, dann würde sich Vill selbst als eine Art Waldläufer bezeichnen. Er wurde deshalb natürlich von allen anderen nur belächelt. Ein Gnom sollte ein Waldläufer sein? Das wurde unter den Menschen und Zwergen oft mit einem Lachen entgegnet. Doch trotz seiner Berufung als Drachenjäger empfand Vill eine tiefe Verbindung zur Natur. Er hatte Zotti als Welpe gefunden. Seine Eltern waren getötet worden. Wahrscheinlich durch einen Konkurrenzkampf im Rudel. Zotti hatte es jedoch geschafft zu fliehen und streunte im Wald umher, bis er auf das Lager von Vill und seinen Kameraden traf. Er bediente sich der Abfälle und Vill schloss in sofort in sein Herz - trotz der Mahnungen von Tahni, die die Befürchtung hatte, dass ein Schattenwolf sie irgendwann fressen würde. Das war gar nicht so abwegig, denn Schattenwölfe wurden fast so groß wie die Ponys, auf denen sie ritten. Doch aus irgendeinem Grund blieb Zotti in ihrer Nähe. Vill konnte ihm sogar einige Tricks beibringen, denn im Vergleich zu den gemeinen Wölfen hatten Schattenwölfe eine beeindruckende Auffassungsgabe. Vill strich seinem Freund über die Stirn und machte sich wieder an die Arbeit, den Kopf des Drachen abzutrennen. Beim Verladen ihrer Beute halfen dann wieder alle mit. Es war schon eine Herausforderung, den Kopf quer über die Lichtung zu ziehen, an deren gegenüberliegenden Rand ein weiterer Wagen stand. Als die Gruppe sich auf den Weg machte, war es bereits dunkel geworden.

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